Am 08. Juni 2018 nahm sich der Autor, Koch und Fernsehmoderator Anthony Bourdain in einem Hotelzimmer im elsässischen Kaysersberg Vignoble das Leben.
Er war mit 61 am Ende eines Weges angekommen, der gerade mal 18 Jahre zuvor seinen, vor allem von ihm selbst, unerwarteten Anfang nahm und ihn von einem ordentlichen aber sicher nicht überragenden Küchenchef aus New York zu einem der einflussreichsten Travel- und Foodjournalisten seiner Zeit und vielleicht aller Zeiten machen sollte.
Und für manche zu noch viel mehr.
Aber der Reihe nach:
2000 erschien das Buch „Kitchen Confidential“, zu deutsch „Geständnisse eines Küchenchefs: Was Sie über Restaurants nie wissen wollten“.
Inspiriert von George Orwells down and out in Paris and London war es gleichermaßen zynischer Kommentar und Insider Info über die Gastronomische Industrie, abgeschmeckt mit unverhohlener Hochachtung für den damals verunsichtbarten Berufsstand des, mitunter bis zur Selbstaufgabe schuftenden Küchenpersonals.
Es wurde ein Bestseller.
Anthony ein Star.
Food Network schickte ihn mit der Food & Travel Show A cooks tour für 35 Folgen um die Welt.
Travel Channel griff das Rezept auf und verfeinert es mit No Reservations. 142 Folgen.
Weiter zu CNN. 104 Folgen Anthony Bourdain: Parts Unknown
Das Konzept blieb simpel:
Anthony reist an einen Ort, spricht mit den Leuten, isst und macht sich Gedanken. Nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge.
Also wo genau liegt hier das Besondere?
Die Größe?
Das Revolutionäre?
Ich würde behaupten, man muss es sehen, um zu verstehen, aber das wäre zu einfach. Und es gibt keine Abkürzungen.
Sendungen über die Zubereitung und den Verzehr landestypischer Kulinarik innerhalb des kulturellen Umfeldes (also Travel & Food) gibt es Hunderte. Heute.
Bourdain allerdings etablierte den Standart und steht bis Heute Pate, bzw. als unübertroffener Meister dieses Genres, das erst durch seinen Erfolg ein Genre werden konnte.
Das ist das Besondere.
Seine gleichzeitig romantischen Umschreibungen wie präzisen Beobachtungen soziokultureller Umstände, und die Fähigkeit, diese, auf seine karg-poetische Weise zu formulieren…
Den Raum, den Bourdain den Menschen, die ihn umgaben und mitunter umwimmelten, nur zu gerne eröffnete…
Man könnte soweit gehen zu sagen, er hat es von Staffel zu Staffel und von Sendung zu Sendung immer besser verstanden, sich aus dem Bild zu nehmen um Platz zu schaffen für all das, was ihn umgab und von dem er selbst immer wieder betonte, keine Ahnung zu haben.
Das ist die Größe.
Enthusiastische Demut, könnte man sagen.
Und das Revolutionäre?
Es gab Episoden wie No Reservations in Beirut, als Tony und sein Team aufgrund des Ausbruchs des Krieges zwischen Israel und Libanon in der Stadt eingeschlossen wurden und trotzdem filmten. Aber anders.
Trotz Bourdains Bedenken, die Folge zu veröffentlichen wurde sie für einen Emmy nominiert.
Es gab die Kongo Folge von Parts Unknown.
Angelehnt an und verstörend wie Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ , bzw. Francis Ford Coppolas Verfilmung „Apokalypse Now“.
Aber mehr als das gab es Momente, die es schafften,
den Sicherheitsabstand zwischen dem Gezeigten und der wohlig heimischen Couch aufzuheben.
Cineasten sprechen da wohl vom Durchdringen der 4. Wand.
Die malerische Unterwasser Szene irgendwo vor der italienischen Küste, mit der, vor Sarkasmus triefenden Stimme aus dem Off, welche die nach und nach von einem Assistenten ins Meer geworfenen, bereits toten Oktopoden beklagte, deren letzter Sinn und Zweck ein gestelltes Harpunieren des Abendessens war.
Ein, durch eine verwirbelnde Schneelandschaft stapfender Tony, der nicht nur die Sinnlosigkeit dieser Mühsal, sondern gleich seine Entscheidung, überhaupt TV zu machen, in Frage stellte.
Überhaupt, diese immer wieder offen artikulierten Selbstzweifel.
Anthony trug seine Wahrheit wie eine offene Wunde vor sich her. In einer Zeit, in der die Oberflächen glänzender und die Tiefen seichter werden, in der jeder Moment kuratiert und jede Geste auf ihre Wirkung hin kalkuliert wird, stand er da wie ein Anachronismus der Aufrichtigkeit.
Er sprach über seine Süchte, als wären sie alte Bekannte.
Die Zweifel, seine Wegbegleiter. Er offenbarte seine Ängste, als wären sie Familienmitglieder.
Diese radikale Transparenz machte ihn zu dem, was er war:
Einer der letzten wahrhaftigen Erzähler des 21. Jahrhunderts.
Aber wer das Echte sucht, findet auch das Unerträgliche. Wer die Masken fallen lässt, sieht auch das, was sie zu verbergen suchten. Die Schönheit und die Brutalität, die Zärtlichkeit und die Grausamkeit – alles liegt plötzlich offen da, alles geht Hand in Hand.
Vielleicht war es diese Ungeschütztheit, die ihn am Ende überwältigte.
Denn die so oft beschworene Authentizität bedeutet auch, dass man sich nicht vor sich selbst verstecken kann.
In seinen letzten Jahren schien er zunehmend zu spüren, was die Philosophen schon lange wussten: dass die menschliche Existenz ohne Illusionen, ohne die kleinen Lügen, ohne die rosigen Verklärungen schwer zu ertragen ist.
All das hatte er sich versagt.
Er stand nackt da in seiner Wahrheit, und diese Nacktheit wurde zu seiner Qual.
So starb Anthony Bourdain, wie er gelebt hatte: kompromisslos. Sein Tod war vielleicht der letzte authentische Akt eines Mannes, der erkannt hatte, dass Authentizität nicht nur bedeutet, ehrlich über das Leben zu sein, sondern auch ehrlich über den Wunsch, es zu beenden.
In einer Welt der schönen Scheine und Fassaden war er bis zuletzt ein Kind der Wahrheit – und die Wahrheit, das wusste schon Nietzsche, ist nicht immer ein Grund zu leben.
Ich zitiere einen der vielen poetischen Gedanken, die nach seinem Tod an der, zu einem Schrein, zu seinem Schrein gewordenen Fassade der New Yorker Brasserie Les Halles niedergelegt wurde:
„Everyone forgets that Ikarus also flew.
I believe that Ikarus was not failing as he fell
but just coming to the end of his triumph.“
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